Alexander Hein ist diplomierter Theologe. Der Erfurter hat im Jahr 2011 das Jahrtausendevent des Besuchs von Papst Benedikt XVI. in der Thüringer Landeshauptstadt als gläubiger Christ, als Fotograf und als Helfer live miterlebt. Zum Staatsbesuch des Oberhauptes der Katholischen Kirche in Deutschland gehörten vom 22. bis 25. September 2011 auch zwei Stationen in Thüringen, Erfurt und das Eichsfeld. Welche Erinnerungen und welcher Nachhall sind nach zehn Jahren in Erfurt geblieben? Würdigung und Rückblick.
Die Nachricht, dass ein Papst nach Ostdeutschland ins kirchlich kaum bedeutsame Bistum Erfurt, kommen würde, war sehr erfreulich und eine Überraschung für alle hier in der Diaspora lebenden Christen.
Die Reise des deutschen Pontifex Maximus stand unter dem Leitwort „Wo Gott ist, da ist Zukunft“. In der Regel sind Papstreisen immer mit einem großen Aufwand verbunden – besonders für das jeweilige Bistum und die Behörden vor Ort. Im Vordergrund stand jedoch der spirituelle Impuls. Beide Seiten durfte ich in Erfurt vor zehn Jahren erleben.
Die Vorbereitungen der Erfurter Verwaltung liefen beinahe übervorsichtig, immerhin musste die Sicherheit des Papstes selbst und alle Gläubigen gewährleistet werden. Gullideckel wurden versiegelt und die Innenstadt förmlich abgeriegelt. Das wurde leider so auch von den Medien transportiert, sodass sich niemand auf die Straße traute. Ein Fest des Glaubens ließ sich in den Tagen vor dem Besuch kaum erahnen: Totenstille, nur wenige Menschen, die das Kirchenoberhaupt begrüßten. Man mag das den Organisatoren der Stadtverwaltung anlasten, jedoch tat dies der Sache letztlich kaum einen Abbruch.
Eine der Stationen des Papstes innerhalb Erfurts war das Evangelische Augustinerkloster, in dem Martin Luther einst als Mönch lebte. Der symbolträchtige Besuch gilt als Zeichen der Ökumene und als Zeichen der Einheit und Versöhnung aller Christen. Dem Theologen Josef Ratzinger darf man diese Geste hoch anrechnen.
Der Höhepunkt des Besuchs in Erfurt war die Feier der Heiligen Messe auf dem Erfurter Domplatz mit tausenden Gläubigen. Wer schon einmal an einem Weltjugendtag der Katholischen Kirche oder einem Empfang auf dem Petersplatz in Rom teilgenommen hat, kann in etwa erahnen, welche Stimmung hier herrschte.
Erfurt war an jenem Tag wie verwandelt. Frühmorgens trafen sich Helfer und Ordner noch im Dunkeln, damit alles reibungslos verlief. Auf dem Domplatz vor der berühmten Silhouette des Doms und der Severikirche wurde ein großer einladender Altarbereich aufgebaut. Die aufgehende Sonne setzte die Szenerie damals in ein besonderes Licht. Der Domplatz füllte sich allmählich und alle warteten auf die Ankunft des Papstes.
Es herrschte Heiterkeit, gute Laune, bekannte Gesichter überall und viele Gespräche über den Glauben und die Kirche. Schließlich erfüllte der Klang der berühmten Gloriosa, der größten freischwingenden mittelalterlichen Glocke, die nur zu besonderen Anlässen geläutet wird, den Domplatz und die ganze Stadt. Bis auf den Glockenklang herrschte Stille und Raunen. Benedetto-Rufe wurden laut, als das Papa-Mobil langsam aus Richtung Petersberg an den Menschen vorbei zum Altarbereich fuhr, um dort gemeinsam mit den versammelten Bischöfen und den Menschen auf dem Domplatz die Messe zu feiern. Einen Papst aus solcher Nähe zu sehen, erlebt man nicht alle Tage – erst recht nicht in der eigenen Stadt. Dieses Gefühl, diese Eindrücke und diese Erinnerung bleiben für mich persönlich ein Leben lang.
Was ist jedoch davon geblieben? Das Bewusstsein und die Toleranz für religiöse Belange ist in Thüringen leider nicht sehr stark ausgeprägt.
Der Besuch des Papstes in Thüringen stellt eigentlich einen historischen Moment dar, dessen man sich bereits im Vorfeld nicht unmittelbar bewusst war – so wirkte es jedenfalls. Der eine oder andere mag auf Grund antikirchlicher Ressentiments zudem sicherlich nicht über dieses Ereignis erfreut gewesen sein, dennoch war es eine Begegnung mit und für alle Menschen und damit für den Osten Deutschlands von hoher Bedeutung. Dieser Teil Deutschlands musste im vergangenen Jahrhundert zwei Diktaturen über sich ergehen lassen, in denen gläubige Menschen mit erheblichen Repressalien bis hin zum Tod rechnen mussten.
Sowas ist mir glücklicherweise erspart geblieben, auch wenn ich in einer dieser Diktatur geboren wurde. Das Gut der freien Glaubensausübung sollte in unserer Gesellschaft deshalb viel stärker gewürdigt und erhalten bleiben. Dieses Anliegen habe ich aus dem Besuch des Papstes im Jahr 2011 für mich mitgenommen. In Erfurt erinnert indes nur noch wenig an dieses Jahrtausendereignis. Einzig wurde im Erfurter Dom eine Steinplatte mit dem Wappen Benedikts eingelassen.
Die Stadt Erfurt selbst würdigt ihren weltbekannten Besucher öffentlich leider gar nicht. Mit einer Benedikt-XVI.-Straße ist in Erfurt vermutlich weniger zu rechnen. Und auch die Erinnerungskultur an dieses historische Ereignis kommt in den meisten regionalen Medien viel zu kurz, denn inzwischen sind es genau zehn Jahre – einige Tage, an die ich mich gern zurückerinnere.