1

Hop oder Top: Die CDU will Ramelow stürzen, hält ihn aber selbst im Amt

von KLAUS KELLE

ERFURT – Mit Friedrich Merz hatte die CDU-Landtagsfraktion gestern Abend einmal mehr einen Redner für den Jahresempfang verpflichtet, der die Parteifreunde auch in komplizierten Zeiten zu begeistern versteht.

Deutschland stehe im Spetember vor einer wichtigen Bundestagswahl, die dazu dienen müsse, die Lehren aus den 18 Monaten der Corona-Pandemie zu ziehen und unser Land auf die nächste Krise besser vorzubereiten. Am 26. September werde zum ersten Mal seit 1949 eine neue Regierung gewählt, ohne dass ein amtierenden Kanzler zur Wiederwahl stehe.

Doch am Rande der Veranstaltung gab es gestern Abend nur ein Thema: Platzt die für September geplante Neuwahl in Thüringen doch noch, weil es keine Mehrheit für die Auflösung des Landtags am Montag geben wird? Vier CDU-Abgeordnete haben angekündigt, dass sie – ebenso wie zwei Linke – nicht zustimmen werden. Während die CDU im „Club Central“ feierte, kündigten zeitgleich die Fraktionen von Grünen und Linke an, sich zu Sondersitzungen zu treffen. Gut möglich, dass danach deren Anträge auf Auflösung des Parlaments zurückgezogen werden. Die FDP hatte in der Woche angekündigt, sich bei der Abstimmung enthalten zu wollen – mit Ausnahe ihres Fraktionsmitgliedes Dr. Ute Bergner, die die Partei verlassen hat, um bei Landtagswahlen mit ihrer neuen Partei Bürger für Thüringen (BfTh) anzutreten. Und der FDP-Politiker Thomas Kemmerich, der vergangenes Jahr kurzzeitig Ministerpräsident war, nachdem er im Landtag mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD gewählt worden war, saß gestern Abend beim CDU-Empfang in der zweiten Reihe mit dabei und wurde von Fraktionschef Mario Voigt herzlich begrüßt.

Voigt hatte in seiner Eröffnungsrede vor 300 Parteifreunden das Versagen der rot-rot-grünen Regierung und ihres Ministerpräsidenten Bodo Ramelow überzeugend beschrieben, den Lehrermangel und den damit verbundenen Unterrichtsausfall, die höhere Steuerbelastung für die Bürger nach eigentlich „steuerstarken Jahren“. Thüringen hatte in der Corona-Krise über Monate bundesweit die höchsten Inzidenzwerte. Dann noch die Herzthemen, die jeden CDU-Saal (zu recht) in Stimmung bringen, etwa die Politik der Grünen, Sexualkunde schon in den Grundschulen zu lehren, und bei den Linken, den Religionsunterricht an Thüringens Schulen abschaffen zu wollen. Beides rot-grüne Vorhaben, die eigentlich auf harsche Ablehnung der Union stoßen.

Doch das eigentlicht Problem sprach Voigt nicht aus, wohl weil er selbst Teil dieses Problems ist. Wenn er sagt, es müsse Neuwahlen geben, weil Thüringen von der Regierung Ramelow erlöst werden sollen, steht dem entgegen, dass der von den Bürgern in Thüringen abgewählte Bodo Ramelow nur heute noch  in der Staatskanzlei in Erfurtsitzt, weil Voigt und seine CDU es sind, die dieser abgewirtschafteten rot-rot-grünen Landesregierung zur Macht verhilft. Und es ist ein offenes Geheimnis in Erfurt, dass es Gespräche zwischen einzelnen Politikern der Linken und der CDU gegeben haben soll, bei denen über eine Verlängerung dieses skandalösen Verhaltens einer Mehrheit der CDU-Landtagsfraktion auch in Zukunft gesprochen wurde.

Wenn Mario Voigt und die CDU den Freistaat Thüringen von der Regierung Ramelow erlösen will, dann könnte sie das noch heute tun, indem sie den sogenannten „Stabilitätspakt“ mit der linksgrünen Landesregierung aufkündigt.




Dr. Ute Bergner (FDP): Neuwahlen in Thüringen? Ich bin dabei!

ERFURT – Laut einer aktuellen Umfrage sind zwei Drittel der Thüringer der Auffassung, dass die geplanten Neuwahlen in Thüringen richtig sind. Und deshalb sollte im September auch gewählt werden, sagt die FDP-Landtagsabgeordnete Dr. Ute Bergner (, Foto, Jena).

Thüringen stehe derzeit still. Seit 15 Monaten gebe es die feste Erwartung, dass der Thüringer einen neuen Landtag wählen. Doch statt lösungsorientiert Neuwahlen vorzubereiten, suchen die antragstellenden Regierungsfraktionen schon jetzt nach einem Sündenbock. Bergner: „Ich erwarte, dass Rot-Rot-Grün den Antrag zur Auflösung des Landtags wie versprochen ins Parlament einbringt.  Laut Thüringer Verfassung können 30 Abgeordnete – und das unabhängig von ihren Fraktionen – diesen Antrag stellen. Und ich bin als eine dieser 30 Abgeordneten dazu bereit, diesem Antrag beizutreten.“

Dr. Ute Bergner wird bei den kommenden Landtagswahlen als Spitzenkandidatin der neuen Partei „Bürger für Thüringen“ (BfTh) antreten.




Wahlrecht geändert – Nun kann ein neuer Landtag gewählt werden

ERFURT – Der Thüringer Landtag hat gestern die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass im September eine Landtagswahl im Freistaat stattfinden kann – auch wenn die Pandemiebedingungen weiter bestünden. Die Landtagsabgepordnete Ute Bergner (Jena, Foto), die als Sitzenkandidatin einer neuen Partei „Bürger für Thüringen“ antreten wird, äußerte sich nach der Parlamentssitzung zufrieden: „In Anbetracht der 70-Tage-Frist zwischen Auflösung des Landtages und der eigentlichen Wahl wurde die Zahl der notwendigen Unterstützungsunterschriften von Bürgern halbiert.“ Da sei ein faires Vorgehen der Landtagsmehrheit gegenüber neuen Bewerbern, sagte Bergner gegenüber thueringen.jetzt.  Die FDP hatte im Plenum rechtliche Bedenken geäußert und enthielt sich ebenso wie Bergner, die jetzt noch Mitglied der FDP-Fraktion im Landtag ist. Sie sagte: „Ich habe mich enthalten, da die gesetzliche Formulierung eines wahlrechtlichen Gesundheitsnotstandes im Artikel 1 §5 so unspezifisch ist, dass sie in der Auslegungsmöglichkeit einer Beliebigkeit entspricht.“




Landesparteitag der CDU: Was ist aus der stolzen Thüringen-Partei geworden?

von KLAUS KELLE

ERFURT – In den Kreisverbänden der CDU wächst vor dem Landesparteitag am Wochenende spürbar der Unmut. Grund ist die Gutherrenart, mit der der designierte nächste Landesvorsitzende, der Bundestagsabgeordnete Christian Hirte, seine zukünftige Führungsmannschaft verkündet. Nämlich per Kurznachrichtendienst Twitter.

Dort schlug er jetzt die Landtagsabgeordnete Beate Meißner als eine von drei zukünftigen Stellvertretern vor. Ursprünglich sollte die allerdings Generalsekretärin der thüringischen CDU werden. Hirte kündigte an, gegebenenfalls einen anderen Namen für die Personalie des Parteimanagers erst zum Landesparteitag der Thüringer CDU am Samstag zu benennen. Warum der allseits geschätzte und derzeit amtierende Generalsekretär Raymond Walk nicht im Amt verbleiben darf, ist Hirtes Geheimnis. Dessen ungeschickte Personalrochaden verstören die CDU-Basis auch ob der ungeklärten Spitzenkandidatur. Zwar hat sich der neue Fraktionsvorsitzende Mario Voigt gegenüber dem linken Minderheitsbündnis schriftlich zu einer Landtagswahl im April kommenden Jahres verpflichtet, aber gut sieben Monate vor der Wahl steht die einstige Thüringenpartei ohne einen vorzeigbaren Spitzenkandidaten vor der thüringer Wählerschaft.

Mit im Spiel von Hirtes Personalpaket war zeitweise auch die Greizer CDU-Landrätin Martina Schweinsburg. Sie sollte eine der drei CDU-Landesvize werden. Seit 1994 ist sie Landrätin, und nicht wenige Parteifreunde fragen sich: warum eigentlich noch? In der Corona-Krise wirkt Schweinsburg überfordert. Ihr Landkreis Greiz verzeichnet relativ hohe Corona-Infektionszahlen. Die Thüringer Landesregierung hatte mehrfach die Vorlegung eines Konzepts zur Eindämmung der Pandemie in der Region eingefordert. Fehlanzeige!

„Wir erfahren aus der Presse, welche Maßnahmen Frau Schweinsburg umsetzen will“, sagte Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) nahezu resignierend zu diesem Zustand. Schweinsburg jedoch wehrte sich, obwohl Greiz Corona-Hotspot ist, vehement gegen schärfere Regeln vor der Haustür als in Thüringen insgesamt. Der  Schwerpunkt der Infektionen liege in den Pflegeheimen, deshalb werde sie einfach  das Besuchsverbot dort und in den Kliniken fortsetzen.

Noch spannender wird es in einem anderen Bereich, denn Martina Schweinsburg ist als Landrätin des Kreises Greiz auch Aufsichtsratsvorsitzende des Kreiskrankenhauses Greiz GmbH. Das Krankenhaus ist größter Arbeitgeber in der Region. Zur Krankenhaus-Gesellschaft gehört auch das Kreiskrankenhaus im benachbarten Kreis Orla-Saale in der Stadt Schleiz.  Bereits im Jahr 2017 liefen Verluste in Höhe von 1,3 Millionen Euro im Greizer Krankenhaus auf. Ein Jahr später waren es dann 2,5 Millionen.

Als einen Grund für die finanzielle Schieflage nennt Schweinsburg Rechnungen über 2,4 Millionen Euro, die der vergangene Geschäftsführer Georg Detter hinterlassen habe. Er war nur sechs Monate im Amt.

Wenig überzeugende Amtsführung, fehlende Transparenz – als ob das alles nicht genug ist, wurde die Landrätin Ende Juli auf einer Fahrt mit ihrem Auto von Greiz nach Hause von der Polizei kontrolliert. Nach ihrer Darstellung habe sie mehrfach gepustet, ohne dass es „ein verwertbares Ergebnis“ gegeben habe. Beim Alkoholtest auf der Polizeiwache gab es das dann allerdings doch:

Der Blutalkoholwert lag über 0,5 Promille, eine Geldbuße von 500 Euro, zwei Punkte in Flensburg und Fahrverbot drohen. Aus Polizeikreisen ist zu hören, die CDU-Politikerin habe sich gegen die Kontrolle gewehrt. Anders die Darstellung von Schweinsburg gegenüber der „Ostthüringer Zeitung“. Sie räumte ein „ein Glas Wein getrunken“ zu haben, beschwerte sich aber gleichzeitig über das Verhalten der Polizeibeamten, die ihr körperliche Gewalt angedroht hätten.

Wie auch immer: Schweinsburgs Agieren in jüngster Zeit ist alles andere als eine überzeugende Bewerbung für eine führende Rolle in der Landes-CDU, die ohnehin nach der Wahlniederlage im vergangenen Jahr in einem schlimmen Zustand ist. Und deshalb ist Frau Schweinsburg jetzt raus aus dem Rennen.

Die Partei Adenauers und Kohls, die mit den beiden herausragenden Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und Dieter Althaus den Weg des Freistaates in eine gute Zukunft maßgeblich lenkten, ist nach der Abwahl von Christine Lieberknecht 2014 nicht mehr wiederzuerkennen.

Einst mit einem klaren Kurs und CDU-Handschrift in der Wirtschaftspolitik, in der Familienpolitik, bei der Inneren Sicherheit, ist die Partei für ihre treuesten Stammwähler kaum noch erkennbar, sind die Christdemokraten heute nur noch Steigbügelhalter ausgerechnet für einen von der Bevölkerung abgewählten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) an der Spitze einer rot-rot-grünen Koalition der Verlierer. Geduldet und unterstützt ausgerechnet von der CDU, die sich gern – lange zurecht – als Partei der Deutschen Einheit feiern lässt.

Der Prügelknabe der Union nach dem Wahldesaster 2019 mit minus 11,8 Prozent ist  ausgerechnet der bisherige Landeschef und Spitzenkandidat Mike Mohring. Das politische Ausnahmetalent aus Apolda wurde – wie bei der CDU bundesweit so üblich – nach der Schmach am Wahltag mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt. Doch war er tatsächlich der (Allein-)Schuldige an der bösen Schlappe? Oder lag es eher am zeitweise desaströsen Gesamtbild der Union?

Aber es gibt auch gute Nachrichten für die Union in Thüringen. Erst gerade wurde Mike Mohring, der an der Basis der Partei bis heute ungebrochen beliebt und ein exzellenter Redner ist, vom Kreisverband Weimarer Land als Bundestagskandidat vorgeschlagen. Beim Landesparteitag wird sich die Europaabgeordnete Marion Walsmann ins Rennen um einen der drei Stellvertreter-Posten im neuen Landesvorstand bemühen – was, wie man hört, ausdrücklich NICHT dem Willen Hirtes entspricht. Walsmann gehört seit Jahrzehnten zu den prägenden Köpfen der CDU im Freistaat, hat vor zwei Jahren erst einen fulminanten Wahlkampf um das Oberbürgermeisteramt in der Landeshauptstadt Erfurt hingelegt, wo sie erst in der Stichwahl scheiterte, aber mit rund 42 Prozent ein für die CDU herausragendes Ergebnis erzielte. Und zum Landesparteitag: So ein bisschen echte Auswahl für die Delegierten bei Personalentscheidungen, das kann ja in einer Demokratie auch nicht schaden…